Eine Geschichte

Eigentlich hat es bereits Jahre vorher angefangen. Ich erinnere mich daran, wie du dir während des Lockdowns - zuerst nur abends und nachts, und später dann auch tagsüber und immer häufiger - die Zeit vertrieben hast. Daran, dass es zu Beginn kein Problem war. Bis es ein Problem wurde.

Ich habe es als solches erkannt, habe angefangen nachts Zuhause zu weinen wenn du nicht da warst, damit du nicht mitbekommst, wie sehr mich das ganze belastet. Schließlich gab es aus deiner Sicht ja auch kein Problem. Weil ich wusste dass ich nichts tun konnte. Nur stark sein und dir mehr vertrauen als mir selbst - darauf dass es alles doch gar nicht so schlimm ist wie es scheint; darauf dass du das schon hinbekommst und ich mich täusche.

Jahre später befinden wir uns an einem anderen Ort. Haben Abstand von allem was war. Sind so verdammt glücklich. Aber etwas liegt in der Luft und hängt über uns wie ein dunkler Schleier. Ich weiß nicht ob du es auch wahrgenommen hast. Aber nach einiger Zeit kehrte die alte Dynamik wieder ein, mit dem Unterschied dass es nun allerdings noch viel mehr zu verlieren gab als vorher.

Hast du mal überlegt, dass ich getan habe, was ich getan habe, aus genau diesem Grund? Um „stark“ sein zu können? Um genau do etwas zu vermeiden? Dass nachts, wenn ich nicht mehr kann und weine weil alles zu viel ist und ich versuche uns beide irgendwie zu retten, koste es was es wolle… dass ich in diesem schmerzhaften und verletzlichen Moment auch noch körperlich aktiv geschädigt werde? Weißt du wie es den tiefsten Grund deiner selbst und des Vertrauens ins Leben erschüttert, wenn die Person der du als einziger Mensch dein Leben blind anvertrauen würdest, zur größten Bedrohung deines Lebens wird? Wenn jegliches Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit sich von diesem Moment an in ein Warnsignal für ernste Gefahr verwandelt?  

Es war lange vorher schon nichts mehr unter Kontrolle. Du hast dich langsam aber stetig verändert. Bis zu selbst zu einem der Menschen geworden bist, die du immer verabscheut hast. Von denen du nichts wissen wolltest. Lügst mir sogar ein Jahr später noch immer ins Gesicht und sagst: „wenn man nicht aufpasst, wird man genauso.“, während dir vollkommen bewusst ist dass das längst passiert ist, du dazugehörst aber irgendwie glaubst das würde ich nicht mitbekommen. Ich bemerke es seit Jahren und  mir ist bewusst, dass du selbst es auch weißt. Aber ich werde nicht mehr der Spiegel für dein falsches Selbstbild sein. Und genau das ist der Grund weshalb du mich meidest. Du siehst die Wahrheit in mir, so wie ich sie in dir sehe. Du siehst sie durch mich in dir selbst. Ich sehe meine Hilflosigkeit dir gegenüber. Und genau das, siehst du auch.

Jeder von uns hat Probleme. Aber ich habe immer zu dir gehalten. Bis zuletzt. Ich habe dich nie für deine Probleme verurteilt-, dir stattdessen  Mut gemacht und signalisiert dass ich bei dir bin und dass du einen Weg raus finden wirst. Immer. Auch wenn du deinen Selbsthass an mir ausgelassen hast, wenn du es mal nicht geschafft hast. So lange, bis ich es aus meiner eigenen Kraft nicht mehr tragen konnte. Du hast dich komplett verloren, hast dir ein Umfeld gesucht dass dir nicht gut tut, bist dir und mir immer fremder geworden. Und ich habe trotzdem versucht stark zu sein. Egal wie.

Ich habe dir deine Probleme nie vorgeworfen. Habe deine Taten unabhängig von dir als Person betrachtet. Habe dich nie aufgegeben. Aber du hast es getan. Und bist aktiv gegen mich gegangen. Du hast mir nicht nur meine Probleme vorgeworfen, du hast mich noch mehr unter Druck gesetzt, mir undeutliche Botschaften vermittelt anstatt offen und ehrlich und liebevoll damit umzugehen, mich herabgewürdigt, belogen, isoliert und passiv-aggressiv indirekt kontrolliert - während du dadurch noch freier in deinen eigenen Problemen baden konntest. 

Ich war dabei als du dich und alles was du hattest, verloren hast, Stück für Stück, jeden Tag ein bisschen mehr. Und ich wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, dich damit alleine zu lassen und auch noch zu gehen. Warum sollte ich auch? Für mich war das nie ein Tauschhandel, den man nun mal ablehnt wenn für einen selbst nicht mehr genug dabei 'rumspringt. Wenn ich die Wahrheit angesprochen habe, ohne dich anzugreifen, bekam ich deine gewallte Wut und Missgunst zu spüren. Da war Schmerz in deinen Augen aber auch tiefe Wut, Hass. Ich habe das alles auf mich genommen, im Vertrauen darauf dass es dich davon befreit.

Aber du hast diese Tanks wieder aufgefüllt. Du hast diese Spannung, die dein Verhalten mit sich brachte - dieses trügerische und falsche Gefühl von Kontrolle, ja sogar von einem gewissen Maße Entspannung - in anderen Situationen gefunden. An anderen Orten, mit anderen Menschen, durch andere Taten. Du hast weiter Gift getrunken, ob bewusst oder unbewusst, und mich dafür verantwortlich gemacht wenn du nach Hause kamst und dich nicht gut fühltest. Auch wenn du danach nicht gesucht hast, du hast diesen surrealen, toxischen Seinzustand immer wieder gefunden. Oder er dich. Im Gegensatz zu mir. Ich hatte bereits das Gefühl, dein wahres Ich nicht mehr in dir wiederfinden zu können. 

Während ich versucht habe an deiner Seite zu sein und mit dir zu kämpfen, so sensibel wie nur möglich (im Gegensatz zu anderen Menschen mit denen du dich dennoch weiter vorzugsweise umgeben hast), hast du auf mich und meinen eigenen Kampf geguckt und mir gegenüber die Worte benutzt, mit denen du dich selbst in deinem Kopf herabgewürdigt und niedergemacht hast. Allerdings laut. Und lauter. Und lauter. Und es passierte immer öfter, immer stärker, immer selbstverständlicher. Und als ich meine selbst erschaffene Rüstung abgelegt habe und meine Wunden erneut sichtbar wurden, als ich so sehr gelitten habe und einfach Sicherheit und Frieden gebraucht habe… 

hat irgendetwas in dir wieder genau diesen Zustand erschaffen… von Entspannung und Spannung, Taubheit gegenüber Problemen und der wahren Welt, Aussicht auf etwas Positives, voraussichtliche Glücksgefühle, die Illusion von Kontrolle…

Unser Zuhause wurde zu einem Tatort.

Das, was vorher schon längst da gewesen ist, wurde sichtbar gemacht. Das was unsichtbar geschah ist spürbar und sichtbar geschehen. Und selbst danach konntest du nicht von diesem Spiel in dir selbst loslassen und hast versucht mir und dir einzureden, dass das, was passiert ist, nicht passiert sei. Doch. Leider ist alles wahr gewesen, was du nicht sehen wolltest. Und das ist es immer noch. Aber nur dadurch, indem man hinguckt, hat man überhaupt auch nur die Chance zu verändern, was man sieht.

Dieser Blogpost ist wahrscheinlich der unschönste den ich je geschrieben habe. Ich glaube die wenigsten erkennen die Liebe die zwischen den Zeilen steht, die bleibt, auch wenn sie oberflächlich überdeckt wird. Ich möchte niemandem Schuld zuweisen, möchte nicht "abrechnen"... die Welt ist nicht Schwarz und Weiß und auch "gute Menschen" tun schlechte Dinge. Auch "gute Menschen" bringt das Leben manchmal in eine sehr schlechte Lage.  Ich habe irgendwann mal etwas gelesen wie "Ein guter Mensch ist ein Mensch, der für andere da ist, auch mal über Regeln hinweg sieht, wenn es Menschen hilft und wenn er damit was Gutes bewegen kann." und denke dass ist das, was mich, mehr oder weniger bewusst, gelenkt hat. 

Habe ich Fehler gemacht? Definitiv! Konnte ich das "klassische Ende" der Geschichte vermeiden? Nein. Hätte ich es vermeiden können, hätte ich nicht die Fehler gemacht, die ich gemacht habe?... es ist traurig... aber... wahrscheinlich nicht. So sehr es mir selbst wehtut, das einzusehen. Ich habe es lediglich geschafft, das Ende gewissermaßen hinauszuzögern. Hätte ich meine eigenen Grenzen nicht selbst manipuliert und versucht Stärke und Tapferkeit zu erhalten, egal wie... wahrscheinlich wär es trotzdem so gekommen. Nur früher. Alles brach letztendlich immer mehr-, und dann endültig zusammen, als ich es tat.

Noch heute wünsche ich mir, ich hätte einfach ein bisschen länger durchgehalten, wäre einfach ein bisschen stärker gewesen...  Aber wenn ich das Gesamtbild sehe, kommt die traurige Erkenntnis: Es war eine Frage der Zeit. Ich konnte dich nicht retten; und wollte mich nicht retten und dich zurücklassen. Also blieb ich. Zu einem hohen Preis. Bis die Welt in Trümmern lag und du beschlossen hast, mich dort zurückzulassen. Nachdem du mir sagtest, du hättest dein Zuhause wegen mir verloren. Nein. Du hast es wegen dir selbst verloren. Und ich meins, wegen mir. Und wir unseres. Bis heute suche ich es hier, wo es einst war, in der Hoffnung es hinter all den schlechten Erinnerungen, die wie Albträume sind, wiederzufinden.

Du sagtest ich hätte mit meinem Verhalten alles auf‘s Spiel gesetzt. Nein, tut mir Leid. Du hast alles auf‘s Spiel gesetzt. Wortwörtlich. 
Mein Part war, dass ich dabei an deiner Seite geblieben bin und das sogar, wie du weißt, weit über meine eignen Grenzen hinaus.
Ich wünschte es wäre anders gewesen. Ich wünschte wir hätten gewonnen. 

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